Kilian Kleinschmidt über die Flüchtlingskrise - von Anna Tschöpe & Thorsten Glotzmann, rbb / Stilbruch

17.09.2015 | rbb Stilbruch

Wie es sich anfühlt, mit hunderttausenden Menschen in einem Flüchtlingslager auf engstem Raum zu leben, weiß Kilian Kleinschmidt. Er hat für die UNO in vielen Krisenregionen gearbeitet und zuletzt in Jordanien eines der größten syrischen Flüchtlingslager der Welt geleitet.  

Erst in Berlin merkt Kilian Kleinschmidt, was er in den vergangenen Jahren vermisst hat: Fließendes Trinkwasser und Elektrizität, 24 Stunden am Tag. Mehr als 20 Jahre hat er als Flüchtlingshelfer in verschiedenen Krisengebieten gearbeitet. Erfahrungen, die er nun in einem Buch festgehalten hat.  

Zuletzt hat Kilian Kleinschmidt eines der größten Flüchtlingslager der Welt - Zaatari - in Jordanien geleitet, heute eine riesige Containerstadt, in der mehr als 80.000 Syrer leben.

Kilian Kleinschmidt, Flüchtlingsexperte
"Seit 2014 werden immer mehr von den syrischen Flüchtlingen in den Nachbarländern nicht mehr grundversorgt, weil kein Geld mehr da ist."

Syrien nach fünf Jahren Bürgerkrieg: Zerbombte Häuser, zerstörte Städte. Die Lage wird immer unübersichtlicher. Assads Regime kämpft gegen die Rebellen und die Terrormiliz "Islamischer Staat", der IS gegen Assad und die Rebellen. Fast eine Viertelmillion Menschen wurden getötet. Über elf Millionen sind auf der Flucht.

Der Schauspieler Ayham Majid Agha ist in Berlin geblieben, weil er als Syrer nicht mehr in den Libanon einreisen durfte. Er hört täglich von Verwandten und Freunden aus Syrien. Einer seiner besten Freunde ist von der TerrormilizIS ermordet worden. Ein Fotograf.

Ayham Majid Agha, Schauspieler
"Vor acht Monaten haben sie ihn gefangen genommen. Er sollte in ein Camp gebracht werden, um zu einem besseren Muslim zu werden. Später habe ich nur die Fotos gesehen, seine Leiche. Sie haben ihn geköpft."

Vor solchen Nachrichten haben auch Kaan Wafi und Raman Angst. Die beiden Syrer leben in Berlin, als Künstler. Gerade stellen sie in Friedrichshain ihre Arbeiten aus. Beide sorgen sich um ihre Familien, die noch in Syrien leben. Kaan Wafi fürchtet so sehr um seine Mutter, dass er nicht erkannt werden will. Dass viele Syrer nach Deutschland wollen und Angela Merkel verehren, ist für ihn keine Überraschung.

Kaan Wafi, Musiker
"Und dann kommen diese Menschen endlich an einen Ort, wo ihre Kinder zur Schule gehen können. Es ist doch klar, dass diese Menschen zu Merkel aufschauen, weil sie besser ist als Assad, der sein Volk tötet."

Raman Khalaf, Musiker
"Die meisten, die nach Deutschland wollen, wissen, dass es Arbeit gibt, dass man studieren kann, dass man einen Studienplatz bekommen kann."


In Deutschland gibt es wieder Grenzkontrollen - in Ungarn Tränengas. Polizisten gehen an den Grenzzäunen nun mit Gewalt gegen Flüchtlinge vor.

Kilian Kleinschmidt, Flüchtlingsexperte
"Unfassbar, dass man innerhalb von Europa sich solche Bedingungen anschauen muss und dass das von einer sehr radikalisierten Regierung und den Behörden dort so durchgezogen wird. Ich meine, ich habe solche Bilder im tiefsten Urwald im Kongo damals gesehen. So sieht es da aus, wenn Menschen menschenunwürdig behandelt werden."

Wie soll es jetzt weitergehen? Bis Ende des Jahres erwartet die Bundesregierung eine Million Flüchtlinge. Diesen Menschen nicht ihre Würde zu nehmen, sie nicht nur als Opfer zu sehen, das ist für Kilian Kleinschmidt die größte Herausforderung.

Kilian Kleinschmidt, Flüchtlingsexperte
Während sie da auf der Flucht waren, sieht man sie fast als eine anonyme Masse. Aber das sind halt 13.000 Geschichten, das sind 13.000 Personen, es sind vielleicht 8.000 Familien. Das muss man begreifen, und das ist für uns wichtig, die Menschen wieder aus der Anonymität herauszuholen."

Ayham Majid Agha, Schauspieler
"The best solution now? Again, to stop this war."

Kaan Wafi, Musiker
"The first thing would be a 'no fly zone'. Most of the civilians are being killed are victims of barrell bombs or drops from planes and helicopters."


Raman Khalaf, Musiker
"Ich will, dass sich Deutschland nicht nur auf die humanitäre Hilfe beschränkt. Ich glaube, Deutschland ist ein Land, das Europa irgendwie führt, das Europa trägt, Europa stärkt. Und wenn Deutschland die Probleme der Flüchtlinge lösen will, dann soll Syrien auf die Tagesordnung kommen, dann soll man wirklich eine Lösung in Syrien finden."


Niemand verlässt freiwillig sein Land. Die meisten wären lieber in Syrien geblieben, wenn sie für ihr Land eine Perspektive sehen würden.


Autoren: Anna Tschöpe und Thorsten Glotzmann

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